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Ungemach im FIDE-Präsidium
13.07.2017

International

Ungemach im FIDE-Präsidium


Nach der außerordentlichen Präsidialversammlung der FIDE am Montag, den 10. April 2017, ist Kirsan Iljumschinow weiterhin Präsident des Weltschachbundes, aber alle rechtlichen Befugnisse liegen jetzt beim Vizepräsidenten Georgios Makropoulos. Bei der ao. Präsidialversammlung, die laut Anwesenden in einer friedlichen Atmosphäre stattfand, wurde Iljumschinows Position deutliche geschwächt, wie chess.com berichtete:

„In der siebten Etage des Fünf-Sterne-Restaurants Royal Olympic in Athen, mit einem herrlichen Blick auf den Zeustempel und die Akropolis, nahmen die FIDE-Präsidiumsmitglieder am Montagmorgen ihr Frühstück ein. Die freundliche Atmosphäre sollte den ganzen Vormittag über anhalten.
Kirsan Iljumschinow traf um 9.15 Uhr, begleitet von seinem Assistenten Berik Balgabajew, als letzter Teilnehmer im Konferenzraum im vierten Stock ein. Der Präsident begrüßte jeden der Anwesenden freundlich, sah aber übermüdet aus. Er war erst 2 Stunden vor dem Treffen in der griechischen Hauptstadt gelandet, nachdem er mitten in der Nacht von Turkmenistan nach Athen geflogen war.

Der Präsidentschaftsausschuss war fast vollzählig  zu dieser außerordentlichen Sitzung, die nur zwei Wochen nach der regulären Sitzung und die ebenfalls in Athen stattgefunden hatte, eingetroffen. Iljumschinows größter Fürsprecher, der Präsident des russischen Schachverbandes, Andrej Filatow, erschien allerdings nicht. Das einzige Thema auf der Tagesordnung (auch wenn es in mehrere Unterthemen aufgeteilt war): die Position von Iljumschinow. Tritt er nun von seinem Präsidentenamt zurück, wie es mehrere FIDE-Funktionäre behaupteten, oder nicht?

Anfrage nach einem schriftlichen Rücktrittsgesuch

Iljumschinows Absicht, vom Amt des FIDE-Präsidenten zurückzutreten, war laut dem FIDE-Vizepräsidenten Makropoulos ernster als es zuerst den Anschein hatte. Er sagte zu chess.com, dass der Präsident nicht nur mündlich gesagt habe, dass er zurücktreten würde, sondern dass er auch ein Rücktrittsgesuch vom FIDE-Sekretariat angefordert hatte, um dies zu unterschreiben. ‚Aber dann änderte er seine Meinung‘, sagte Makropoulos.
‚Das stimmt so einfach nicht‘, sagte Iljumschinow zu chess.com. ‚Erstens war das eine private Unterhaltung bei der Makropoulos gar nicht dabei war, und jetzt nur erzählt, was andere ihm erzählt haben, und zweitens stand ich in diesem Moment unter einem großen emotionalen Stress.‘
‚Ich sagte: Wenn ich der FIDE schade, dann trete ich zurück. Nach dem Rücktrittsgesuch hatte ich gefragt, damit ich darüber nachdenken konnte. Die ganze Situation war sehr emotional. Einige Präsidiumsmitglieder sagten noch zu mir, dass ich so eine Entscheidung nicht spontan treffen sollte. Andere waren froh, mich loszuwerden, und fingen sofort eine Diskussion über meinen Rücktritt an.‘
Auf jeden Fall hat der exzentrische Kalmücke den Satz „Ich trete zurück!“ letzten Monat dreimal ausgesprochen. Er fiel nach einer Diskussion um Agon, der Firma, die die Schachweltmeisterschaften organisiert. Wie bekannt wurde, sind die Zahlungsrückstände dieser Firma größer als bisher angenommen.

Agon in Zahlungsschwierigkeiten

Agon schuldet der FIDE nicht nur das Preisgeld für die Schnell- und Blitzschachweltmeisterschaft 2015, die in Berlin stattfand (US-$ 80,000), sondern auch noch einen Betrag von EUR 500,000 für die Abtretung der Rechte, wie es in einem Vertrag zwischen der FIDE und Agon bereits 2012 vereinbart worden war. All diese Zahlungen hätten spätestens 2016 erfolgen sollen. Der Fall Agon löste einen heftigen Streit zwischen den Präsidiumsmitgliedern aus, der schließlich in dem Tumult vor zwei Wochen endete. Ob es nun eine Verschwörung mehrerer Präsidiumsmitglieder war oder nicht, Iljumschinows Position als FIDE-Präsident ist auf jeden Fall geschwächt.

Die Sitzung am 10. April 2017 fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Balgabajew und sogar Polina Tsedenowa, die vertrauenswürdige Verwaltungsdirektorin der FIDE, mussten draußen warten. Nach wenigen Minuten öffnete sich jedoch die Tür des Sitzungssaals und Tsedenowa wurde gebeten, an der Sitzung teilzunehmen. Iljumschinow hatte gebeten, dass sie als seine Dolmetscherin fungieren solle, was er noch nie vorher getan hatte, denn eigentlich spricht er fließend Englisch.

Vielleicht war es nur eine Taktik, um Zeit zu gewinnen – vielleicht hatte Iljumschinow aber wirklich Angst, missverstanden zu werden. Schließlich hatten er und einige Präsidiumsmitglieder ja sehr verschiedene Auffassungen davon, was vor zwei Wochen gesagt wurde, und Iljumschinow führte unter anderem auch Übersetzungsfehler für die Konfusion um seinen vermeintlichen Rücktritt an.
Das Treffen war nach etwas weniger als drei Stunden, pünktlich zum Mittagessen, beendet, und das Ergebnis war nicht die Sensation, die einige Insider erwartet hatten.

Der Ausdruck „Status quo“ wurde des Öfteren benutzt, und die Sitzung wurde als „ergiebig“ und „friedlich“ beschrieben, aber weitere Kommentare ließ sich kein Präsidiumsmitglied entlocken. ‚Sie können alle Fragen nach der Pressemitteilung stellen“, vertröstete der geschäftsführende FIDE-Direktor, Nigel Freeman, die wartenden Journalisten, bevor er mit den anderen Präsidiumsmitgliedern das Mittagessen einnahm.

Dieses fand in einem Restaurant mit dem passenden Namen ‚Smile‘ statt, welches in der Nähe des Hotels, in dem die Präsidiumsmitglieder untergebracht waren, liegt. Es ist das Stammlokal des Vizepräsidenten Georgios Makropoulos und wird von Insidern auch „das wahre Büro der FIDE“ genannt.

Pressemitteilung (am 10.04.2017 um 16.15 Uhr veröffentlicht)

Diese beginnt mit der Feststellung, dass ‚der Vorstand einstimmig die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Sitzung bestätigt hat.‘ Dies war aufgrund der Tatsache, dass es nach den FIDE-Statuten der FIDE-Präsident zu sein hat, der eine außerordentliche Präsidialversammlung einberuft, und Iljumschinow in einem seiner offenen Briefe gegen die Sitzung protestiert hatte, notwendig.

Der zweite Punkt erwähnt, dass der Vorstand – wieder einstimmig – Iljumschinows Entscheidung vom Dezember 2015 bekräftigt hat, ‚von allen rechtlichen, finanziellen und geschäftlichen Operationen der FIDE zurückzutreten, um es ihm zu ermöglichen, die Anschuldigungen des US-Finanzministeriums gegen ihn zu widerlegen.‘

Seit diese Entscheidung erstmals getroffen wurde, war unklar, welche Befugnisse Iljumschinow noch hat und welche er nicht mehr hat. Am 10. April 2017 beschloss der Vorstand nun, dass alle Befugnisse, die in Kapitel 9 der FIDE-Statuten aufgeführt sind, an den Vizepräsidenten der FIDE übertragen werden.

Kurz gesagt kann Makropoulos nun die FIDE offiziell repräsentieren. Er hat die alleinige Zeichnungsvollmacht (auch wenn Verträge immer noch der vorherigen Zustimmung der Präsidiumsmitglieder bedürfen) und er führt den Vorsitz aller Versammlungen, einschließlich der Generalversammlung, der Präsidiumssitzung und des Exekutivkomitees. ‚Ich habe das ja alles schon einige Zeit gemacht, aber jetzt ist es geklärt, dass dies wirklich meine Aufgaben sind‘, sagte Makropoulos zu chess.com.

In seinem letzten offenen Brief vom 6. April widerrief Iljumschinow seine Entscheidung vom 6. Dezember 2015, aber am 10. April 2017 gab er diesen Kampf auf. Faktisch hat er nun nur noch wenige Aufgaben in der FIDE. Makropoulos: ‚Laut den Statuten hat er eigentlich gar keine Aufgaben mehr.‘

Und als ob dies noch nicht genug gewesen wäre, musste Iljumschinow anschließend seine emotionalen Äußerungen, die er nach der letzten Sitzung getroffen hatte, erklären. Er entschuldigte sich dafür genauso wie für einige Aussagen, die er seit dem letzten Treffen gemacht hatte. ‚Er war zurück nach Russland geflogen und hatte einige Sachen behauptet, die einfach nicht stimmen‘, sagte Makropoulos.
Auch deshalb wurde einstimmig vereinbart, ‚dass künftig keine Aussagen im Namen der FIDE gemacht werden, es sei denn, diese Aussagen werden vorher vom FIDE-Sekretariat genehmigt‘.

Nachdem er als Letzter gekommen war und dann klein beigegeben hatte, war Iljumschinow dann auch der Erste, der Athen wieder verließ. Zu dem Zeitpunkt, als die Pressemitteilung veröffentlicht wurde, war er bereits wieder in der Luft – unterwegs nach Moskau (mit einem Zwischenstopp in Larnaka auf Zypern).

Nach der Landung in Moskau sprach Iljumschinow aber noch mit chess.com und sagte, dass er die Pressemitteilung nicht zu Gesicht bekommen habe, bevor diese veröffentlicht wurde. Aber auch wenn er nicht mit allen Inhalten dieser Erklärung einverstanden ist, wollte er keinen Kommentar dazu abgeben.

‚Ich war zwar im Recht, habe mich aber für den Schachsport geopfert, und will nicht mehr dazu sagen. Ich will keine weiteren Probleme verursachen und die FIDE nicht noch weiter spalten. Ich sagte den Präsidiumsmitgliedern: Macht was ihr wollt und veröffentlicht was ihr wollt. Ich werde alles akzeptieren, denn ich habe vollstes Vertrauen in euch.‘
Iljumschinow hob noch einmal hervor, dass es ihm um das Wohl des Schachsports gehe. ‚Am Ende der Pressemitteilung steht, dass alle Entscheidungen zur Einigkeit im Schach beitragen. Das hätte ganz am Anfang stehen sollen!‘

Nach 2018 kein Präsident mehr?

Bis zu den nächsten Wahlen 2018 ist Iljumschinow also ein FIDE-Präsident mit so gut wie keiner Machtbefugnis. Sollten die Anschuldigungen des US-Finanzministeriums gegen ihn bestehen bleiben, wird er ferner nicht für eine weitere Amtszeit kandidieren können. Diese Entscheidung, die ursprünglich im September 2016 in Baku getroffen worden war, wurde am 10.04.2017 in Athen von den Präsidiumsmitgliedern bestätigt.
‚Wir haben ernsthafte Probleme wegen dieser Sanktionen. Viele Sponsoren aus dem Westen wollen keine Verträge mit der FIDE abschließen‘, sagte Makropoulos, ‚und ich glaube nicht, dass die Sanktionen aufgehoben werden.‘

Iljumschinow schien von seinem Machtverlust nicht besonders betroffen zu sein: ‚Ich habe so viel Zeit und Geld in das Schach investiert und dabei niemals Entscheidungen alleine getroffen oder mich in irgendwelche Kommissionen eingemischt. Makropoulos hatte schon das Sagen. Das hat mich noch nie interessiert. Ich war eigentlich schon immer der Mäzen der FIDE, und nicht ihr Präsident.‘

Während Iljumschinow nach Russland flog, hatte Makropoulos ein traditionelles Abendessen mit den Präsidiumsmitgliedern in einem Restaurant in der Nähe des Hotels. Hier gab er zu, dass der Machtkampf innerhalb der FIDE auch ein Machtkampf mit Russland sei.

‚Ich rate den anderen russischen Präsidiumsmitgliedern, dass sie aufhören sollen, diese Spielchen zu spielen. Ich weiß, dass die FIDE sehr wichtig für Russland ist, aber sie sollten verstehen, dass niemand aus unserer Gruppe die FIDE für gute Beziehungen zu Russland opfern wird. Sie sollten akzeptieren, dass sich die Zeiten geändert haben.“

Eine Woche später war alles wieder anders

Acht Tage nach der außerordentlichen Präsidialversammlung gab Iljumschinow am 18. April 2017 gegenüber chess.com bekannt, dass er 2018 wieder als FIDE-Präsident kandidieren werde. „Ich habe heute über alles, was passiert ist, nachgedacht und mich daraufhin entschieden, für eine weitere Amtszeit als FIDE-Präsident zu kandidieren. Ich will weiterhin daran arbeiten, die Schachwelt zu vereinen, und ich will mein Ziel erreichen, dass eine Milliarde Menschen auf der Welt Schach spielen.“ Trotz der US-Sanktionen bleibt Iljumschinow optimistisch: „Ich habe meine Beziehungen und ich habe meine Anwälte. Ich werde mit allen sprechen und ich bin zu 100 % davon überzeugt, dass wir für die momentanen Probleme eine Lösung finden werden.“

Auch Vizepräsident Makropoulos gab gegenüber chess.com eine Erklärung ab. Über die US-Sanktionen sagte er: „Bei der letzten Vorstandssitzung haben die Teilnehmer einstimmig beschlossen, dass Kirsan bei der nächsten Wahl nicht mehr kandidieren soll. Diese Meinung wurde schon von einigen Vorständen bei der Vorstandssitzung 2016 in Baku vertreten. Außer von mir selbst auch von Israel Gelfer und Jorge Vega. Um genau zu sein, kenne ich kein einziges Vorstandsmitglied mit Stimmrecht, das eine andere Meinung hätte. Niemanden! Es ist also eher unwahrscheinlich, dass irgendjemand Kirsan bei der nächsten Wahl unterstützen würde. Leider sind die US-Sanktionen ja nicht das einzige Problem, sondern auch seine Lügen über die Vorstandssitzung vom 26. März 2017, die er in der russischen Presse verbreitete.“ Zu Iljumschinows erneuter Absicht als FIDE-Präsident 2018 kandidieren zu wollen, sagte Makropoulos: „Ich wünsche ihm viel Glück!“

Schon vor bald 12 Jahren machte sich die angesehene Neue Zürcher Zeitung Gedanken über
„Die Machenschaften des FIDE-Präsidenten: Heilsverkünder oder Sesselkleber?“

https://www.nzz.ch/articleDE521-1.190702    

Finanzielle Unregelmäßigkeiten scheinen in der FIDE Tradition zu haben. So warf man im November 1995 auf dem 66. FIDE-Kongress in Paris Iljumschinows Vorgänger als FIDE-Präsident (seit 1982), dem Filipino Florencio Campomanes (*1927, †2010), solche Delikte vor und wählte ihn ab. Damals schlug die Stunde für den Präsidenten der russischen autonomen Republik Kalmückien (1993-2010), Kirsan Iljumschinow (*1962). Er wurde zum Nachfolger von Campomanes als FIDE-Präsident gewählt und bekleidet seither dieses Amt. Wegen Sanktionen des US-Finanzministeriums hat Iljumschinow die Amtsführung am 6. Dezember 2015 bis zu deren Aufhebung dem Vizepräsidenten des Weltschachbundes, Georgios Makropoulos, überlassen.

mihu / 10.07.2017  Quellverweise: Zürcher Zeitung,

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